„Warum ist der von mir ermittelte Ertragswert so viel geringer als die derzeitig marktüblichen Kaufpreise für vergleichbare Objekte? Ich habe doch alles richtig gemacht – Mieten in Ansatz gebracht, wirtschaftliche Restnutzungsdauer wohl abgewogen, Modernisierungsgrad berücksichtigt, den örtlichen Liegenschaftszinssatz verwendet, … und doch: Mein Ergebnis liegt 25% unter den derzeit gezahlten Marktpreisen. Was kann man da tun? Ja richtig, nennen wir es einfach MARKTANPASSUNG und schupps – Verkehrswert = derzeit erzielbarer Marktverkaufspreis. Jetzt fragt bestimmt keiner mehr groß nach. Problem gelöst.“
So oder ähnlich werden heutzutage Unterschiede zwischen klinischer Wertermittlung und Realität eines in vielen Bereichen bereits anomalen „Geschäftsverkehrs“ gehandhabt. Das Drehen an anderen Stellschrauben der Wertermittlung kann das Bewertungsergebnis in die gewünschte Richtung beeinflussen – das ist sicher eleganter als die (oben etwas blumig beschriebene „sachverständig eingeschätzte“) Marktanpassung zu bemühen.
Ich bin davon überzeugt, dass sich die Bewerterzunft vollkommen unglaubwürdig macht, wenn sie den teilweise irrationalen Marktbewegungen „hinterherhechelt“. Eine schulterzuckende Aussage wie „Der Markt ist halt im Moment so!“ sollte man meiner Meinung nach als seriöser Wertermittler vermeiden.
!Ein verantwortlich handelnder Wertermittler sollte dem Auftraggeber neben einem sauber ermittelten Verkehrswert seine Einschätzung von der „Überhitzung“ des jeweiligen Marktsegments geben, damit dieser die Differenz zum Verkehrswert versteht und selbst das zukünftige Korrekturrisiko aktueller Kaufpreise für sich einschätzen kann!
Überhitzung und Korrekturrisiko
Streng genommen bilden die irrational gestiegenen Immobilienpreise das allgemeine Anlagedilemmma im Niedrigzinsumfeld ab. Immobilien gelten derzeit insbesondere als weitgehend verlustfreier „Kapitalparkplatz“.
In Märkten, die aufgrund ihres Angebots nur eine begrenzte Anzahl solcher „Parkplätze“ bieten, führt dies schnell zu erheblichen Aufschlägen bei den Kaufpreisen. Ertragsobjekte – früher wegen ihrer Mietrendite begehrt – werden heute aus den oben umrissenen Gründen gekauft. Wenn nach Deckung der Kosten noch Kleinstrenditen von < 1-2% erzielt werden, ist den Investoren dies ausreichend, denn mehr gibt’s auf der Bank schließlich auch nicht mehr.
Sobald die Immobilienpreise bis zur Rentabilitätsschwelle (Kosten=Erträge=schwarze 0) gestiegen sind, wird sich das freie Kapital neue Anlagefelder suchen. Der Preisdruck nach oben wird dann aufhören, da höhere Kaufpreise sofortige Verluste mit sich bringen. Ändert sich das Zinsniveau Richtung Zinserhöhung wird eine massive Preiskorrektur bei Immobilien die Folge sein.
Haftung
Dies sollte der findige Wertermittler vor Augen haben, wenn er einem irrationalen Markt gehorsam vorauseilt. Irgendwann muss er seine Wertermittlung vielleicht doch einmal verteidigen und damit auch seine „Marktanpassung“ …